Nature: Studie zeigt neue Ansätze zur Therapie von krankhaftem Über- und Untergewicht auf
Wenn die Temperaturen steigen, lässt der Appetit nach: Das merkt man sowohl nach einem Saunabesuch im Winter als auch an einem Hochsommertag im Freien. Es ist außerdem wissenschaftlich erwiesen, dass die Nahrungsaufnahme bei akuter Hitzeeinwirkung reduziert ist. Die genauen Hintergründe hierzu waren jedoch noch nicht bekannt. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der MedUni Wien hat nun erstmals den neuronalen Signalweg beschrieben, der die Nahrungsaufnahme bei heißem Wetter reduziert. Die Medizinische Universität Wien führte die Forschung in Zusammenarbeit mit einem Team unter der Leitung von Dr. Alán Alpár am Institut für Anatomie, Histologie und Embryologie der Semmelweis Universität durch. Die Forschungsgruppe von Professor Dr. Alán Alpár wird bereits das zehnte Jahr in Folge vom Nationalen Hirnforschungsprogramm unterstützt, in dessen Rahmen die beiden Gruppen erfolgreich zusammenarbeiten. Die Ergebnisse dienen als Sprungbrett für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Fettleibigkeit und Appetitlosigkeit. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden am 27. März 2024 in der führenden Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Wie die Untersuchungen im Mausmodell zeigten, beginnt die Signalkaskade im Nucleus parabrachialis, dem „Thermostat im Kopf“, der für die Temperaturwahrnehmung zuständig ist. „In diesem Bereich haben wir die Aktivierung spezieller Zellen im Gehirn von Mäusen beobachtet, die eine Stunde lang einer Temperatur von 40 Grad Celsius ausgesetzt waren“, berichtet Tibor Harkany vom Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien, der die Studie durchgeführt hat in Zusammenarbeit mit Tamas L. Horvath von der Yale University School of Medicine (USA).
Diese Zellen verlängern ihre Fortsätze (Axone) in den Hypothalamus, wo sich die Neuronen befinden, die die Nahrungsaufnahme koordinieren. Die Signalübertragung zu diesen Neuronen erfolgt nicht direkt, sondern über spezialisierte Zellen, sogenannte Tanyzyten. Tanyzyten säumen die Wand des dritten Ventrikels, einer der vier Hohlräume des Gehirns, und sind dafür bekannt, Signalmoleküle in die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit abzugeben, um mit entfernten Zielen zu kommunizieren. Im Gegensatz zu dieser allgemeinen Ansicht zeigten die Studienautoren, dass die nach außen ragenden Strukturen der Tanyzyten in das Hirngewebe eindringen und schließlich mit den Neuronen in Kontakt kommen, die die Nahrungsaufnahme anregen. „Der von uns entdeckte Signalweg zeigt, dass Hitzeeinwirkung nicht, wie bisher angenommen, das Sättigungsgefühl beeinflusst. Vielmehr hemmt die Freisetzung eines bestimmten Wachstumsfaktors die Aktivität derjenigen Gehirnzellen, die die Nahrungssuche und -aufnahme anregen“ – erklärt Harkany die Studienergebnisse.
Wie Dr. Alán Alpár betonte:
Die Informationsübertragung im Gehirn ist normalerweise ein sehr schneller Prozess. Unsere Arbeit zeigt erfolgreich, dass für die Reaktionen, die zur Regelung des Gleichgewichts im Körper beitragen, auch lang anhaltende, langwierige Signaltransduktionsmechanismen erforderlich sind, an denen nicht-klassische Zelltypen mitwirken.
Umgang mit extremen Temperaturen
Die Aufrechterhaltung der Kerntemperatur zwischen 36,5 und 37,4 Grad ist für das Überleben des Menschen notwendig. Deshalb löst der Körper bei akuter Hitze (wie auch Kälte) verschiedene Reaktionen aus. Eine reduzierte Nahrungs- oder Kalorienaufnahme ist eine dieser Bewältigungsstrategien bei hohen Temperaturen. „Durch die Entdeckung des zugrunde liegenden neuronalen Schaltkreises können wir die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet vorantreiben“ – sagt Harkany. Doch damit nicht genug: Eine Reihe weiterer Experimente bestätigten die Erkenntnisse der Forscher, dass die molekularen Komponenten und zellulären Kompetenzen des nun entschlüsselten Signalwegs potenzielle Angriffspunkte für die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Fettleibigkeit, aber auch von Magersucht („Magersucht“) sind. ). ) identifiziert zu haben. Nach eingehender Forschung könnte sich die Hemmung oder Aktivierung des neuronalen Schaltkreises durch pharmakologische Eingriffe als Behandlungsoption bei krankhaftem Über- oder Untergewicht erweisen.
Veröffentlichung: Nature
Ein neuronaler Schaltkreis zwischen Hirnstamm und Hypothalamus reduziert die Nahrungsaufnahme bei Hitzeeinwirkung;
Marco Benevento, Alán Alpár, Anna Gundacker, Leila Afjehi, Kira Balueva, Zsofia Hevesi, János Hanics, Sabah Rehman, Daniela D. Pollak, Gert Lubec, Peer Wulff, Vincent Prevot, Tamas L. Horvath und Tibor Harkany;
Photo: Attila Kovács – Semmelweis Universität