Im neuesten Teil unserer Alumni-Interviewreihe erzählt Dr. Susanne Esche-Belke, Gründerin einer Berliner Privatpraxis und einer Online-Praxis für integrative Medizin mit Schwerpunkt Hormon- und Autoimmunstörungen, erfolgreiche Buchautorin, Ausbilderin und Speaker darüber, was ihr die Semmelweis Universität bedeutet und wie sich ihre Karriere entwickelt hat.
Ihre Arbeit ist sehr vielfältig. Was sind die wichtigsten Stationen Ihrer Karriere?
Zu Beginn meiner klinischen Tätigkeit galt mein besonderes Interesse der Notfallmedizin, so dass ich in der Anästhesie und Intensivmedizin einer großen Hamburger Klinik arbeitete. Es folgten mehrere Jahre in der Chirurgie, verbunden mit meiner Promotion an der Universitätsklinik Hamburg. Nach der Geburt meiner drei Kinder erfolgte der Wechsel in die ambulante Patientenversorgung. Weiterbildungen u.a. in Präventions- und Stressmedizin, der ganzheitlichen Immuntherapie, Mikrobiomtherapie, Nährstoff- und Stoffwechselmedizin, Naturheilkunde, sowie in den hormonellen Wechselwirkungen internistischer Erkrankungen. In meiner Zeit als leitende Ärztin einer integrativen Klinik konnte ich den Bereich Frauengesundheit stärken. 2020 habe ich die erste Online-Praxis für integrative Medizin mit Schwerpunkt Hormon- und Autoimmunstörungen gegründet. Seit 2023 arbeite ich in meiner Privatpraxis und bin als Autorin, Ausbilderin und Speaker tätig.
Was betrachten Sie als Ihre berufliche Mission? Was möchten Sie als Mitarbeiterin im Gesundheitswesen erreichen?
Meine Passion ist es, evidenzbasierte Medizin mit den Erkenntnissen junger Wissenschaften und altem Wissen zu verbinden.
Den Hormonen in Anamnese, Diagnostik und Therapie einen festen Stellenwert zu geben, ist dabei ein großes Anliegen. Hormone wirken nicht isoliert und erfordern interdisziplinäre Zusammenarbeit, leider sind Hormonbestimmungen in vielen Fachrichtungen noch unterrepräsentiert. Meine Zukunftsvision wäre eine neue Fachrichtung, die diese Themen weiter erforscht und gezielt behandelt.
Die Bedürfnisse, Nöte und Fragen meiner Patient:innen sind der Motor und die Inspiration für meine Arbeit. Ich sehe meine Aufgabe darin, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sich die Patient:innen sicher fühlen und mit Expertise und Empathie gemeinsam bestmögliche Lösungen zu entwickeln.
Woher kam die Idee, in der integrativen Medizin zu arbeiten?
Trotz aller Fortschritte in der modernen Medizin hatte ich oft das Gefühl, chronische Erkrankungen eher zu verwalten, als ursächlich zu behandeln. Diese Perspektiven haben meinen Blick auf die Medizin nachhaltig erweitert und bereichern meine Arbeit auch nach fast drei Jahrzehnten.
Die rapide Zunahme von Zivilisationskrankheiten ist eine Herausforderung an die Medizin und Gesundheitssysteme weiter zu denken: Individueller, ursachenorientierter und ganzheitlicher.
Was hat Sie dazu motiviert, sich auf den Bereich der hormonellen Gesundheit mit Schwerpunkt Frauen zu spezialisieren?
In meiner Arbeit begegnete ich immer häufiger gut ausgebildeten Frauen in der Lebensmitte, die plötzlich in tiefer Erschöpfung steckten und schnell mit ‚Burnout‘ etikettiert wurden. Bei genauerer Diagnostik zeigten sich jedoch häufig Muster aus Stoffwechselstörungen, entleerten Nährstoffspeichern und hormonelle Dysbalancen. Mehrere Jahre habe ich Patientinnen mit auffälligen Schilddrüsenbefunden betreut – ich erkannte immer wieder das Zusammenwirken metabolischer Störungen, epigenetischer Faktoren, Nährstoffmangel, Stress und Ernährungsstil.
Gibt es Ihrer Meinung nach etwas in Bezug auf die Frauengesundheit, das oft übersehen wird?
Biologische, hormonelle und immunologische Unterschiede führen dazu, dass Frauen z.B. häufiger von Autoimmunerkrankungen betroffen sind. Symptome, beispielsweise beim Herzinfarkt, zeigen oft anders als bei männlichen Patienten, was zu fatalen Fehlinterpretationen führen kann.
Besonders in der Lebensmitte werden die Weichen für ein gesundes Altern gestellt. Ich denke, wir werden zukünftig mehr über die Wirkungen diskutieren, die über die reinen “Sexualfunktionen” hinausgehen, auch was die Altersprävention angeht.
Leider haben überholte und unsichere Hormontherapien den Hormonen ein denkbar schlechtes Image beschert. Hier braucht es noch viel Aufklärung.
In Ihrer Arbeit setzen Sie sich gegen veraltete Überzeugungen und Diskriminierung in Gesundheitseinrichtungen ein. Was würden Sie als besonders reformbedürftig und wichtig hervorheben?
Natürlich haben meine persönlichen Erfahrungen in der Facharztweiterbildung in deutschen Kliniken mit drei kleinen Kindern meine Haltung und Interessenschwerpunkte geprägt.
Viele Studien, Medikamenten-Prüfungen und Labor-Referenzwerte basieren vorrangig auf den Daten männlicher Probanden; geschlechtsspezifische Besonderheiten in Diagnostik und Therapie sind oft lückenhaft.
Hinzu kommen soziale und kulturelle Faktoren, Mental Load, Lebensstil- und Umweltbelastungen, die weibliche Hormonsysteme empfindlich treffen. Um die Versorgung zu verbessern, müssen Forschung, Diagnostik und Therapie diese genderspezifischen Besonderheiten konsequent berücksichtigen.
In unserem Netzwerk von mehr als 20 Expert:innen – Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Unternehmer:innen und Aktivist:innen – setzen wir uns unter der Initiative #WirSind9Millionen (mehr als 9 Millionen Frauen in Deutschland sind zwischen 40-55 Jahre alt) auf politischer Ebene für eine stärkere Förderung der Frauenmedizin und mehr Sichtbarkeit der Lebensmitte ein.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit auch mit Stressbewältigung. Wie stehen Sie zum Thema Work-Life-Balance und zum Stress, der mit dem Arztberuf verbunden ist?
Es ist immer ein großes Thema gewesen, meinem Beruf mit diversen Auslandsumzügen und drei Kindern gerecht zu werden. Mich regelmäßig auch mal rauszunehmen, gelassener und freundlicher mit mir zu werden, hilft da ungemein. Reisen, Malen, Yoga, Kaltschwimmen, Natur, Zeit mit Freunden und Familie und natürlich die Freude an meinem Beruf, sind meine Kraftquellen. Auch die MBSR Ausbildung (Stressreduktion durch Achtsamkeit im klinischen Kontext) ist nicht nur für meine Arbeit, sondern auch für meine persönliche Entwicklung eine echte Bereicherung gewesen.
Sie haben im Laufe der Jahre mehrere sehr erfolgreiche Bücher geschrieben. Was hat Sie dazu motiviert, mit dem Schreiben anzufangen?
Die Bedürfnisse und die positive Rückmeldung meiner Patient:innen haben mich dazu gebracht, meine Studien der letzten Jahre zusammenzufassen. Dass mein erstes Buch Midlife-Care vor 5 Jahren auf Weltreise geht und in 20 Ländern erscheint, hätte ich natürlich nicht erwartet. Im Übrigen habe ich mich besonders über die ungarische Ausgabe gefreut.
Aktuell habe ich die Arbeit an einem umfassenden Online-Hormon-Kurs abgeschlossen. Im Herbst setzte ich meine Vortragsreihen in Unternehmen fort, inspiriert vom britischen Menopause-Projekt. Ziel ist es, Mitarbeiter:innen gesundheitlich aufzuklären und beste Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Inwiefern hat Sie Ihre Zeit an der Semmelweis Universität geprägt?
Auf mein Studium an der Semmelweis-Universität blicke ich mit großer Freude und Dankbarkeit zurück. Die Erfahrung, in einem fremden Land so herzlich aufgenommen zu werden, zu studieren und wertvolle tiefgreifende Freundschaften zu knüpfen, hat mich nachhaltig geprägt.
Die Professor:innen und Mitarbeiter:innen haben neben dem exzellenten Wissen auch wichtige Werte vermittelt. Wissenschaftliches Denken, Respekt, Gemeinschaftssinn, gegenseitige Unterstützung und Teil einer großartigen Gemeinschaft zu sein, ist ein Privileg, welches auch hohen eigenen Einsatz erfordert. 30 Jahre später empfinden 2 meiner Kinder, die auch an der Semmelweis studiert haben, dies sehr ähnlich.
Sie haben kürzlich am internationalen Alumni-Treffen der Semmelweis Universität in Budapest teilgenommen. Wie war Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Das gesamte Treffen war ein absolutes Highlight. Wir wurden überaus herzlich empfangen. Die Freude, ehemalige Mitstudenten zu treffen und die starke Verbundenheit zu spüren, auch wenn wir uns oft viele Jahre nicht gesehen haben. Es wurde ein großartiges Programm für uns organisiert: Gemeinsame Ausflüge, Donaufahrten, ein wunderbarer Festabend. Ich werde auf jeden Fall das nächste Mal wiederkommen.
Hanna Szekeres, Direktorat für Internationale Beziehungen und Alumni-Angelegenheiten
Foto: Boglárka Zellei – Semmelweis Universität; Dr. Susanne Esche-Belke
Übersetzung: Dr. Balázs Csizmadia