Eine innovative Methode zur histologischen Diagnostik von Nebennierentumoren, die von der Forschungsgruppe des Lehrstuhls für Endokrinologie an der Semmelweis Universität entwickelt wurde, ist nun zum Patent angemeldet worden. Die Forschung wurde auch mit dem Innovationspreis der Universität ausgezeichnet.

Im Durchschnitt erkrankt jeder zwanzigste Mensch an einem Nebennierentumor, die eine Schlüsselrolle für die Körperfunktionen und die Hormonproduktion spielt, und die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu. Diese Tumore werden oft durch Zufall im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen bei Verdacht auf andere Krankheiten entdeckt, obwohl es charakteristische Symptome gibt, die ebenfalls auf eine Nebennierenerkrankung hinweisen können. Es handelt sich überwiegend um nicht hormonproduzierende, gutartige Tumoren, von denen die meisten nicht therapiert werden müssen. Es ist aber schwierig festzustellen, ob ein Patient einen gutartigen oder bösartigen Tumor hat. In sehr seltenen Fällen kann der gefundene Tumor bösartig sein.

Nebennierenrindenkrebs ist recht aggressiv, und auch die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei weniger als 30 Prozent.

Die Krankheit ist auch deshalb schwer zu erkennen, weil sie solche Symptome aufweist, die auch bei anderen Erkrankungen oft vorkommen. Dazu gehören beispielsweise Nachtschweiß, anhaltendes Fieber, Gewichtsverlust, Müdigkeit und im fortgeschrittenen Stadium Schmerzen im Bauch oder Rücken. Gelegentlich kommt es zu einer Gewichtszunahme im Gesicht oder am Bauch, zu einer Abmagerung der Gliedmaßen und einer Verdünnung der Haut. Ein charakteristisches Symptom bei Frauen ist auch ein vermehrter Haarwuchs als üblich. Darüber hinaus kann eine Vielzahl anderer endokrinologischer Symptome auftreten, so dass jeder, der diese Symptome verspürt, einen Facharzt aufsuchen sollte.

Derzeit gibt es kein allgemein verfügbares diagnostisches Verfahren, mit dem die Ärzte schnell und relativ schmerzlos eine Diagnose aufstellen und die Therapie festlegen können. Darüber hinaus erfordern postoperative histopathologische Untersuchungen ein hohes Maß an Fachwissen und Erfahrung, und auch Pathologen haben manchmal Schwierigkeiten, diese Tumore histopathologisch zu untersuchen. Die präoperative Probenentnahme gilt noch nicht als Routineverfahren, da die histologische Untersuchung bei kleinen Probenmengen schwierig und unzuverlässig ist. Abhilfe könnte hier die Entdeckung der Molekularbiologie durch eine Forschungsgruppe der Abteilung für Endokrinologie der Semmelweis-Universität schaffen, die im Herbst 2022 mit dem Innovationspreis der Universität ausgezeichnet wurde.

“Dank der Innovation kann die Analyse postoperativer Gewebeproben leichter sein, da das Forschungsteam drei miRNA-Kombinationen identifiziert hat, die, wenn sie aus der Probe isoliert werden, zuverlässig auf die Gut- oder Bösartigkeit eines Nebennierentumors hinweisen können”

– sagte Dr. Peter Igaz, Leiter des Forschungsteams und Fahrstuhls für Endokrinologie. Er fügte hinzu: “Die Semmelweis Universität verfügt über eine mehr als vier Jahrzehnte lange Tradition in der Erforschung von Nebennierentumoren, weshalb dieses Forschungsgebiet so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

MicroRNAs sind nicht-proteinkodierende RNAs, aber sie haben eine biologische Funktion: Sie regulieren zelluläre Funktionen durch RNA-Interferenz, d. h. ohne die DNA-Sequenz zu verändern, und dies ist teilweise der Grund, wie der menschliche Körper auf Veränderungen der Umweltreize reagiert. MicroRNAs, die in der Regel aus 19-21 Nukleotiden bestehen, sind sehr stabile Moleküle, und ihre Verwendung als Biomarker hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem immer spannenderen Forschungsgebiet entwickelt, da immer mehr über nicht-proteinkodierende RNAs und die Rolle der microRNAs für die Funktion des Organismus entdeckt wurde und immer mehr microRNAs – derzeit etwa 2500 beim Menschen – identifiziert wurden.

Dr. Gábor Nyirő

Eine der größten Schwierigkeiten der zweijährigen Forschung war die Beschaffung und Analyse von Gewebeproben, sagte Dr. Gábor Nyirő, Biologe, Senior research fellow und Leiter der Laborarbeit. Die Laborforschung wurde im Labor für klinische Genetik und Endokrinologie des Instituts für Labormedizin durchgeführt. Nebennierenrindenkrebs ist so selten – jedes Jahr werden im Land etwa 15-20 Fälle identifiziert -, dass es Zeit brauchte, um 63 formalinfixierte und paraffin-eingebettete Gewebeproben aus den Pathologieabteilungen zu beschaffen und zu sortieren”, fügte Dr. Péter István Turai PhD, Assistenzarzt der Klinik für Innere Medizin und Onkologie, hinzu, der zum Erfolg der Forschung vor allem durch Laborarbeit  – einschließlich der Isolierung der in den Proben nachweisbaren microRNAs und der Bestimmung ihrer Expressionsniveaus – beitrug. Ein besonderer Dank gilt auch den beiden Instituten für Pathologie der Semmelweis Universität für die Bereitstellung der Präparate”, betonten die Forscher. Die histologische Analyse und die Isolierung der microRNAs stützten sich zu einem großen Teil auf quantitative PCR-Tests. Dank früherer Forschungen konnte die Zahl der microRNAs, die an der Funktion der Nebenniere und an Tumoren beteiligt sein könnten, auf 10-15 eingegrenzt werden.

Dr. Péter István Turai

„Davon haben wir mittels künstlicher Intelligenz verschiedene Kombinationen erstellt und 24 solcher Kombinationen identifiziert, mit denen sich gutartige von bösartigen Tumoren mit 90-prozentiger Effizienz unterscheiden lassen” – so Dr. István Péter Turai. In der Validierungsphase haben sie dann versucht, die Prävalenz dieser Kombinationen durch die Analyse der erhaltenen Proben zu überprüfen. Die Proben enthielten sowohl bösartige Nebennierenrindenkarzinome als auch gutartige Adenome. Schließlich konnten wir feststellen, welche Kombinationen beim Backtesting der Proben so gut funktionierten, dass wir mit fast 100-prozentiger Genauigkeit feststellen konnten, ob sie bösartig oder nicht bösartig waren” – erklärte Dr. Zoltán Herold, Biostatistiker in der Klinik für Onkologie der Abteilung für Innere Medizin und Onkologie, der die Simulationen mit Hilfe künstlicher Intelligenz durchführte.

Auf diese Weise konnte schließlich die Zahl der Kombinationen, die gezielt zur Erkennung von Nebennierenrindenkrebs beitragen kann, auf drei reduziert werden.

Die Ergebnisse dieser Forschung werden die Entwicklung eines Verfahrens ermöglichen, das in Zukunft auch für die präoperative Histologie eingesetzt werden kann, mit dem längerfristigen Ziel, Nebennierenrindenkrebs anhand von zirkulierenden microRNAs, die vom Tumor ins Blut ausgeschieden werden, im Blut nachzuweisen. Dies könnte auch die Analyse einer Gewebeprobe aus dem Organ ersetzen, da eine einfache Blutprobe ein viel weniger schmerzhaftes oder riskantes Verfahren sein würde.

Dr. Péter Igaz

Eine weitere Forschungsrichtung könnte die Ausarbeitung von microRNA-basierten Blutentnahmeverfahren zur Verfolgung von Krankheitsstadien sein, bemerkte Dr. Péter Igaz. Letzteres könnte durch die Analyse einer großen Anzahl von Patientenproben erreicht werden, um die Expressionsniveaus von microRNAs zu ermitteln, die aufgrund ihrer Vorstudien als vielversprechende Markermoleküle identifiziert wurden. Um diese Proben zu erhalten, ist jedoch eine internationale Zusammenarbeit erforderlich, die dadurch unterstützt wird, dass das Forschungsteam im Jahre 2020 mit dem Exzellenzlabel des Europäischen Netzwerks zur Untersuchung von Nebennierentumoren (ENS@T, European Network for the Study of Adrenal Tumors) ausgezeichnet wurde. Die Forscher hoffen, in einigen Jahren längerfristige Ergebnisse zu erzielen. Sie erwägen ferner, Methoden zum Nachweis anderer Arten von Nebennierentumoren zu entwickeln.

Anfang 2022 haben wir bei der Universität einen Patentantrag für die Nutzung der von uns identifizierten microRNA-Kombinationen für die Krebsdiagnostik eingereicht”

– betonte Dr. Péter Igaz. Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, und der Patentschutz erteilt wird, kann die industrielle Umsetzung folgen, vorausgesetzt, es wird ein Pharmapartner gefunden, der in der Diagnose einer seltenen Krankheit eine Geschäftschance sieht. Und diese Diagnostik kann dann in der täglichen klinischen Praxis angewendet werden. Dazu wäre auch die technische Unterstützung durch das Innovationszentrum der Universität notwendig.

Der methodische Teil der Forschung könnte auch in der universitären Lehre eingesetzt werden, und für Studenten, die sich für TDK-Arbeit (Wissenschaftlicher Studentenkreis) interessieren, könnten die Forschungen im Lehrstuhl bzw. die Endokrinologie als Fachgebiet interessant sein.

Dr. Zoltán Herold

„Oft ist es eine Frage des Zufalls, dass Menschen entscheiden, in welche Richtung sie sich bewegen werden. Ich habe zum Beispiel mit dem Thema Diabetes angefangen, und hätte nie gedacht, dass ich mich später einmal mit Tumoren beschäftigen würde” – sagt Dr. Zoltán Herold, der glaubt, dass es in naher Zukunft große Chancen für Fortschritte in der KI-basierten Diagnostik geben werden.

“Ursprünglich interessierte ich mich für Immunologie, aber in meinem sechsten Studienjahr wechselte ich in die endokrinologische Abteilung der ehemaligen Klinik für Innere Medizin II, und damit wurde die Frage meines beruflichen Interesses geklärt”, ergänzt Dr. Péter Igaz. Das jüngste Mitglied des Forschungsteams, Dr. István Péter Turai, wollte bis zu seinem Praktikum im dritten Studienjahr Pathologe werden, bis er sich während seiner täglichen Arbeit in der Klinik für die Innere Medizin sowie darunter für Endokrinologie zu interessieren begann. Seiner Meinung nach wird dieses Fachgebiet den Studenten vor allem dadurch attraktiver gemacht, dass es endokrine Erkrankungen gibt, die aufgrund der offensichtlicheren körperlichen Symptome leichter zu diagnostizieren sind, was auch das berufliche Interesse wecken kann.

 

Die mit dem Innovationspreis ausgezeichnete Forschungsgruppe des Lehrstuhls für Endokrinologie: v. l. n. r. : Dr. Péter István Turai, Dr. Péter Igaz, Dr. Zoltán Herold, Dr. Gábor Nyírő

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Dr. Péter Igaz hält am 24. April 2023 einen Vortrag über Nebennierenerkrankungen mit dem Titel: Hormonstörungen mit dem Fokus auf die Nebenniere in der Seniorenakademie.

 

Melinda Katalin Kiss
Fotó: Bálint Bálint – Semmelweis Universität
Übersetzung: Judit Szlovák