Anlässlich der ungarischen Nationalfeier von 15. März wurde Dr. Gyula Poór, Arzt, Batthyány-Strattmann-Preisträger, leitender Universitätsprofessor der Lehrstuhlgruppe für Rheumatologie und Physiotherapie in der Klinik für Innere Medizin und Hämatologie, korrespondierendes Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Hauptdirektor und Oberarzt des ORFI (Landesinstituts für Rheumatologie und Physiotherapie; heute heißt es Landesinstituts für Bewegungsmedizin) – mit Széchenyi Preis ausgezeichnet. Die Auszeichnung konnte Dr. Gyula Poór am 20. August vom ungarischen Staatsoberhaupt übernehmen. In seinem Interview sprach uns der Professor über seine bisherigen Forschungen sowie über die Meilensteine, die seine Karriere bestimmten.

Dr. Gyula Poór wurde mit dem Széchenyi-Preis als Anerkennung seiner außerordentlichen Ergebnisse in Heilung und Forschung der Osteoporose, sowie seiner bedeutenden Rolle in Ausarbeitung des Nationalen Osteoporose-Programms Ungarns ausgezeichnet. „Es ist eine große Ehre und Freude für mich, dass ich als erster Rheumatologe in Ungarn diesen Preis bekam. Dies ist auch die Anerkennung des Fachgebietes – sagte der Professor, der seine wissenschaftliche Karriere im ORFI begann, indem er schon seit zwanzig Jahren als Direktor tätig ist. Im Institut kam er an die Abteilung von Dr. Mila Mituszova, die die größte Autoritätsperson der Gicht war; so war es eindeutig, dass er sich auch mit diesem Thema zu beschäftigen begann – sprach er über den Beginn seiner Karriere. Im Fokus seiner Forschungen stand der gichtige Nierenschaden, wobei von ihm die Wirkung der Bleiexposition auf die Nieren und auch auf den Harnsäure-Stoffwechsel ebenso untersucht wurde. Von diesem Thema schrieb Dr. Gyula Poór seine Kandidat-Dissertation auch. Vor einigen Jahren wurde dieses wissenschaftliche Gebiet neu interpretiert, als man die Funktion der Urattransporter-Enzyme und den Zusammenhang zwischen Harnsäureproduktion und der renalen Ausscheidung beschrieb. Daraufhin wurde auch in der ungarischen Population untersucht, was für Änderungen die verschiedenen Mutationen dieser Enzyme auf molekularer Ebene verursachen. Wenn diese Mutationen bei jemandem  vorhanden sind, nimmt die Neigung zur Gicht zu –  berichtete der Professor über die Ergebnisse.

Zu seinem anderen Haupt-Interessengebiet gehört die Osteoporose, die ebenso zu den metabolischen Erkrankungen gehört. Mit diesem Forschungsgebiet begann er sich in den neunziger Jahren zu beschäftigen, als er als Stipendiat längere Zeit in der Mayo Klinik von Rochester verbrachte. Hier machte er Forschungen neben L. Joseph Melton, der einer der größten Autoritätspersonen der Osteoporose war. “Hauptsächlich untersuchten wir die Ursachen und Folgen der Oberschenkelhalsfrakturen, wobei wir die den Zustand verursachenden Risikofaktoren auch beschrieben” – erzählte er. Die erfolgreiche Periode in der Mayo Klinik trug dazu bei, dass er nach seiner Heimkehr beauftragt wurde, um eine der Leitungspositionen bei der europäischen Studie zur vertebralen Osteoporose (EVOS) anzunehmen.

Im Rahmen dieser Studie wurde beschrieben, dass die Knochendichtewerte der ungarischen Bevölkerung zu den niedrigsten in Europa gehören, und in Ungarn etwa 600 Tausend Frauen und 300 Tausend Männer Osteoporose haben. Aufgrund dieser Arbeit wurde das von ihm geleitete Nationale Osteoporose-Programm herausgearbeitet, indem eins der wichtigsten Elemente die Gestaltung der ungarischen Netzwerke der Osteoporose-Zentren war.

Wir stellten 100 solche Zentren auf lokaler, regionaler und Landesebene auf, überall mussten die Bedingungen der Diagnostik und Therapie geschaffen werden; außerdem wurde auch die Finanzierung der nötigen Medikamente in die Wege geleitet – erläuterte der Professor. Als Ergebnis der umfangreichen landesweiten Arbeit verminderte sich die Anzahl der osteoporotischen Frakturen bedeutend – erklärte er. Daraufhin wurde Dr. Gyula Poór zum Sekretär des WHO-Osteoporose-Weltprogramms (Weltgesundheitsorganisation) gewählt, er arbeitete mit den größten internationalen Experten zusammen, nahm an der Ausarbeitung einer Publikation teil, in der die heute angewendeten Grundlagen der Krankheitsdiagnostik- und -Therapie beschrieben wurden.

Später begann er sich mit einer weniger bekannten Knochenerkrankung, mit der Paget-Krankheit zu beschäftigen. In seinen Forschungen sucht er die Antwort, welche Rolle die genetischen und viralen Faktoren in der Herausbildung dieser Krankheit spielen. Im Zentrum der fachlichen Tätigkeit von Dr. Gyula Poór spielen die entzündlichen Gelenkerkrankungen, darunter die rheumatoide Arthritis ebenso eine wichtige Rolle. Trotz Missverständnisse ist diese Krankheit nicht die Erkrankung der älteren Leute, sie erscheint schon im Alter von 30-40 Jahren, und kommt hauptsächlich bei Frauen vor; der Grund der Behinderung ist in vielen Fällen die rheumatoide Arthritis – sagte der Professor. Mit seinen Mitarbeitern wurde die genetische und therapeutische Forschung der rheumatoiden Arthritis auch gestartet.                

Diese Krankheit ist heute noch nicht heilbar. Falls jedoch der Patient die entsprechende medikamentöse Behandlung rechtzeitig bekommt, ist die Behinderung komplett zu vermeiden. An der Ausarbeitung der einheimischen und internationalen Richtlinien bezüglich der Krankheit nahm Dr. Gyula Poór auch aktiv teil.

Als Ergebnis seiner Tätigkeit wurden auch Arthritis-Zentren gebaut, in denen gezielte Behandlungen, und zukunftsweisende Therapien angewendet werden.

Auf allen vier Forschungsgebieten beschäftige ich mich mit sogenannten multifaktoriellen Erkrankungen: d.h. sie können durch mehrere Komponenten verursacht werden. Das sind genetische Faktoren und Umwelt- oder Lebensstilfaktoren, die bei Herausbildung der Erkrankung oder der Tendenz zur Erkrankung eine Rolle spielen können

– erklärte der Akademiker, der seiner eigenen Meinung nach ein translationaler Forscher ist. Ein Forscher, der eine Brücke zwischen klinischen und theoretischen Forschungen bildet. Auf klinische Fragen versucht er, mit den Mitteln der Grundlagenforschung die Antwort zu finden. „Ich habe immer versucht, mich mit solchen Sachen zu beschäftigen, die klinische Relevanz haben“ – sagte er. Nach seiner Aussage waren ihm die Forschungsthemen wichtig, wodurch er anderen helfen konnte. „Wenn ich nicht verstehe, wie sich der Patient fühlt, kann ich das Molekül, wodurch das Problem gelöst werden kann, auch nicht finden“ – meinte er. Die Rheumatologie ist ein besonders dynamisch entwickelndes Gebiet – meinte er. Unsere Vorgehensweise änderte sich komplett; wir arbeiten systemorientiert; unsere Forschungen sind durch Interaktion von verschiedenen Netzwerken charakterisiert. Zum besseren Verständnis Muskel-Skelett-Erkrankungen und rheumatologischer Krankheiten wird die Entschlüsselung dieser Netzwerke einen großen Beitrag haben. Zu seinen Zukunftsplänen gehören noch – sagte Dr. Gyula Poór – das tiefere Verständnis der Pathogenesen der von ihm erforschten Krankheiten, sowie die Erweiterung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten, wodurch man zur personalisierten Medizin kommen kann.

 

Bernadett Bódi
Foto: Attila Kovács – Semmelweis Universität
Übersetzung: Judit Szlovák