Eine Krankheit, die mit wiederholten Kopfverletzungen in Verbindung gebracht wird und seit langem mit Kontaktsportarten wie Boxen und American Football einhergeht, wurde bei Menschen diagnostiziert, die als Obdachlose verstorben sind. Die Studie, die erste ihrer Art, die sich auf eine Gruppe von Obdachlosen konzentriert, untersuchte 34 Gehirne und fand die Krankheit in vier Fällen, wobei zwei weitere Fälle eng damit verbundene Schäden aufwiesen. Keiner der Betroffenen hatte Profisport betrieben oder beim Militär gedient, was darauf hindeutet, dass wiederholte Kopfverletzungen auch außerhalb Kontaktsporte ein Risiko darstellen können.
In der in „Acta Neuropathologica” veröffentlichten Studie wurde eine Analyse postmortaler Gehirne von 34 Erwachsenen im Alter von 41 bis 67 Jahren durchgeführt, darunter überwiegend Männer (29 von 34). Bei vier Personen wurden die für die sogenannte chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) typischen mikroskopischen Veränderungen festgestellt, bei zwei weiteren wurden CTE-ähnliche Veränderungen beobachtet, wenngleich nicht alle Merkmale in den untersuchten Bereichen vorhanden waren. Dies ist die erste Bestätigung der Krankheit in einer europäischen Nicht-Sportler-Population.
CTE entwickelt sich nach wiederholten Schlägen auf den Kopf und kann erst nach dem Tod durch eine charakteristische Ansammlung des Tau-Gehirnproteins nachgewiesen werden. Mit der Zeit können Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Gedächtnisverlust und Bewegungsprobleme auftreten.
Die Erstautorin und Assistenzprofessorin am Institut für Pathologie der Semmelweis Universität, Dr. Krisztina Danics, sagte: „Unser Fokus lag hier darauf, pathologische Veränderungen im Gehirn einer sehr gefährdeten, oft übersehenen Gruppe zu untersuchen, in der Hoffnung, frühe Formen häufiger Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson zu finden. Es war eine Überraschung, CTE bei Menschen ohne Elite-Sport- oder Militärhintergrund zu entdecken.
Dies stützt die Annahme, dass sich wiederholte Schläge auf den Kopf im Laufe eines Lebens summieren können – auch außerhalb von Stadien.“
– fügte sie hinzu.
In den CTE-Fällen unterschied sich das Schädigungsmuster in den für das Gedächtnis zuständigen Regionen des Gehirns von dem bei Alzheimer-Patienten beobachteten Muster. Andere altersbedingte Veränderungen traten in der gesamten Gruppe häufig auf, und vier Fälle zeigten eine weitere Form einer neurologischen Störung, die normalerweise im höheren Alter auftritt und als Argyrophilic-Grain-Krankheit (AGD) bekannt ist, obwohl es sich um relativ junge Menschen handelte.
Die Studie wurde von Forschern der Semmelweis Universität (Budapest, Ungarn), der Universität Toronto (Kanada) und der Macquarie Universität (Sydney, Australien) erstellt.
Zuvor waren ähnliche CTE-bedingte Veränderungen im Gehirn auch bei Frauen in Australien dokumentiert worden, die langfristig häuslicher Gewalt (durch ihren Partner) ausgesetzt waren.
Hirnverletzungen sind bei Obdachlosen weitaus häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, oft aufgrund von Stürzen, Übergriffen oder Unfällen. Die Autoren warnen davor, dass gewalttätiges oder aggressives Verhalten bei Obdachlosen manchmal nicht nur eine Ursache, sondern auch eine Folge einer zugrunde liegenden Hirnschädigung sein kann.
Der leitende Autor Dr. Gabor G. Kovacs, Professor am Institut für Labormedizin und Pathobiologie und leitender Forscher am Tanz Centre for Research in Neurodegenerative Disease der Universität Toronto, fügte hinzu: „Die Feststellung von CTE bei einer mitteleuropäischen Obdachlosenkohorte sollte zu einem Umdenken führen: Es handelt sich nicht nur um eine Krankheit von Sportlern, und die Erkenntnis darüber ist für die Pflege, die Sozialdienste und sogar für die Art und Weise, wie Gerichte über Verhalten und Verantwortung urteilen, ebenfalls von Bedeutung.“
CTE tauchte erstmals 1928 in der medizinischen Literatur bei Boxern auf und erregte dann 2005 weltweite Aufmerksamkeit, als Dr. Bennet Omalu darüber bei dem American-Football-Spieler Mike Webster berichtete. Ihre Geschichte wurde später in dem Film Concussion mit Oscar-Preisträger Will Smith erzählt, der für diese Rolle eine Golden-Globe-Nominierung erhielt. Darüber hinaus wurden auf Initiative von Hirnpathologiestudien auch die Richtlinien der britischen Fußballliga aktualisiert, um das Problem der Gehirnerschütterungen im Profisport anzugehen.
Mitautorin Dr. Shelley L. Forrest von der University of Toronto und der Macquarie University sagte: „Unser Fokus lag hier eher auf dem benachteiligten sozioökonomischen Status als auf der Genetik. Wir haben strenge Kriterien angewendet und nur Personen berücksichtigt, die auf der Straße lebten, keine professionelle Sportkarriere oder Militärdienst hinter sich hatten und deren Gehirne und Rückenmark mit denselben Methoden untersucht wurden – dies ist die weltweit erste Studie dieser Art zu einer obdachlosen Bevölkerungsgruppe. Wir haben bei etwa 12 % der von uns untersuchten Obdachlosen in Mitteleuropa CTE festgestellt.“
Laut dem internationalen Forschungsteam besteht der nächste Schritt darin, bessere Instrumente zur Erkennung dieser Krankheit zu Lebzeiten zu entwickeln, da routinemäßige MRT-Untersuchungen CTE nicht aufdecken können und die Betroffenen früher identifiziert und versorgt werden müssen.
Angelika Erdélyi
Foto: Boglárka Zellei, Tamás Kiss – Semmelweis Universität; Gabor G. Kovacs – University of Toronto; Shelley L. Forrest – University of Macquarie; Titelbild: iStocks
Übersetzung: Judit Szlovák