Was sind die wichtigsten Dinge, die wir in unserem Alltag relativ einfach für unsere Gesundheit tun können? Im diesem Teil unserer Artikelserie gibt Dr. Nikoletta Horváth, Kinderorthopädin und Assistenzprofessorin an der Klinik für Orthopädie der Semmelweis Universität, Ratschläge, wie wir unsere Wirbelsäule gesund halten und eine gute Haltung bewahren können – von der Vorbeugung in der Kindheit bis zur Linderung von Haltungsschäden im Erwachsenenalter.

  1. Frühzeitige Prävention: Kinder sollen sich frei bewegen!

Prävention ist für die Gesundheit der Wirbelsäule von größter Bedeutung. Vom Säuglings- und Kleinkindalter an sollten freie Bewegung und eine gesunde Bewegungsentwicklung ermöglicht werden“ – sagt Dr. Nikoletta Horváth. Die harmonischen Krümmungen der Wirbelsäule bilden sich in den verschiedenen Stadien der motorischen Entwicklung: Im Fötalalter hat die Wirbelsäule eine einzige große, nach vorne gerichtete Krümmung, so werden wir geboren. In der Bauchlage wird der Kopf angehoben, um die Beugung der Halswirbelsäule (Lordose) zu erzeugen, in der Sitzposition kommt es zu einer gesunden Vorwärtsbeugung (Kyphose) der Wirbelsäule und in der Stehposition zur Beugung der Lendenwirbelsäule (Lordose). Haltungsasymmetrien, Schiefhaltungen, Störungen der Muskeltonus-Verteilung und abnorme Hüftbewegungen, die im Säuglingsalter beobachtet werden, können im späteren Leben zur Verfestigung einer schiefen Haltung, zu Wirbelsäulenasymmetrien und möglicherweise zu einer schwereren Skoliose führen, wenn sie unbehandelt bleiben. Die normale Bewegungsentwicklung ist ein genetisch kodierter Prozess, der gefördert werden sollte, genauer gesagt, man sollte ihm „seinen Lauf lassen“, betonte die Expertin. Sie fügte hinzu, dass dies der Schlüssel zur physiologischen Entwicklung der Wirbelsäule und zur harmonischen Stärkung der Muskulatur sei.

Bei physischer oder psychischer Bewegungshemmung, wenn zum Beispiel nicht genug Platz zum Bewegen vorhanden ist oder die Aufmerksamkeit des Kindes unnötigerweise an einen Bildschirm oder ein Smartphone gebunden ist, blockieren wir das genetisch codierte Programm, was zu Schäden führt“ – betonte Dr. Nikoletta Horváth.
  1. Jugendliche Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig

Regelmäßige Untersuchungen des Bewegungsapparats sind vom Säuglingsalter bis zum Ende der Adoleszenz wichtig, um beginnende Wirbelsäulendeformitäten frühzeitig zu erkennen und ihre Verschlimmerung und Verschlechterung durch eine angemessene Behandlung zu verhindern – sagte die Assistenzprofessorin. Eine scheinbar harmlose Vernachlässigung, bei der die Fehlhaltung (Rundrücken) vollständig korrigiert werden kann, kann sich im Laufe der Jahre zu einer starren Deformität entwickeln, die nur schwer oder gar nicht zu korrigieren ist. Solche Zustände bedürfen einer gezielten Physiotherapie, da das Kind sich nicht aus ihnen herauswachsen kann“ – betonte sie.

Dr. Nikoletta Horváth erklärte, dass Schwimmen als universelle Empfehlung für die Behandlung von Skoliose ein seit langem bestehender Irrglaube und eine fehlerhafte Praxis ist. Jahrelanges Schwimmen ist vergeudete Zeit in Bezug auf Prävention und Therapie, und Schwimmen ist kein Ersatz für Physiotherapie.

Mit Hilfe von körperlichen und bildgebenden Untersuchungen kann ein Orthopäde nachlässige Körperhaltungen von ernsthafteren Wirbelsäulenerkrankungen unterscheiden, die zu Deformierungen führen können, die im Kindesalter eine Schnürung oder sogar eine Operation erfordern, und seltener von Entwicklungsstörungen. Die Fachärztin betonte, dass die Schulzeit auch eine kritische Zeit für die Wirbelsäulengesundheit ist, da die Kinder durch das ganztägige Sitzen in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, im Sportunterricht typischerweise wenig Gymnastik stattfindet, die Kinder gestresst sind, was sich ebenfalls auf die Haltung auswirkt, und sie schwere Schulranzen tragen müssen – die an sich keine Skoliose verursachen, aber eine unnötige Belastung darstellen.

Die Prävalenz der Skoliose („Rückgratverkrümmung“) liegt zwischen 1 und 3 %, während die Scheuermann-Krankheit 8-10 % der Bevölkerung betrifft. Im Erwachsenenalter ist die Skoliose das häufigste muskuloskelettale Symptom, welches zu Arbeitsunfähigkeit führen kann. Zwischen 60 und 80 Prozent der Menschen leiden mindestens einmal im Leben unter Rückenschmerzen, und etwa 5 bis 10 Prozent der Erwachsenen haben chronische Rückenschmerzen, d. h. sie halten länger als drei Monate an. Nackenbeschwerden sind variabler und treten im Laufe des Lebens in etwa 20 bis 70 % der Fälle auf. Daher sollten fast alle Menschen ab dem jungen Erwachsenenalter präventiv mindestens zwei- bis dreimal pro Woche 30 Minuten Rückenübungen machen, vor allem wenn sie sich nicht regelmäßig bewegen. Langfristig können Online-Wirbelsäulengymnastikübungen eine gute Möglichkeit sein, wobei es nicht darauf ankommt, welcher Spezialist sie erstellt hat, und es lohnt sich auch, die korrekte Ausführung dieser Übungen in traditionellen Präsenzsitzungen unter Anleitung eines zertifizierten Trainers oder Physiotherapeuten zu erlernen und zu üben.

  3. Wir sollten nicht nur auf die Wirbelsäule achten, sondern auf das gesamte Skelettsystem!

Das gesamte Skelett-, Muskel- und Gelenksystem zu pflegen und gesund und beweglich zu halten, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Wirbelsäule. Wenn sich zum Beispiel das Hüftgelenk nicht gut bewegt, kompensieren wir die fehlende Bewegung mit unserer Lendenwirbelsäule, was zu einer Überlastung oder disharmonischen Bewegung der Wirbelsäule führt“ – erklärt die Assistenzprofessorin. Daher muss man bei Wirbelsäulendeformitäten nicht nur die Wirbelsäule trainieren und die Rumpfmuskulatur stärken, sondern man muss der Form der eigenen Wirbelsäule und der Art der Deformität bewusst sein und die Anweisungen eines geeigneten Spezialisten, eines Physiotherapeuten, befolgen, um eine regelmäßige individuelle Ganzkörper-Bewegungstherapie durchzuführen.

  1. Gesunder Lebensstil: Es ist nie zu spät, damit anzufangen

Regelmäßige Bewegung, eine gesunde Lebensweise und die Vermeidung von Übergewicht spielen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Wirbelsäule. Dr. Nikoletta Horváth sagt, dass die Wirbelsäule keine Inaktivität oder Überbelastung mag, genau wie unsere übrigen Gelenke. Das Tragen schwerer Lasten, Übergewicht, zu intensiver Leistungssport, die Wiederholung falscher Bewegungsmuster mit schlechter Technik bei der Arbeit oder beim Training können zu frühzeitigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, zum Verschleiß der kleinen Gelenke, zur Degeneration der Bandscheiben, zu Bandscheibenvorfällen, Instabilität und Blockaden führen. Es ist nicht zu spät, in höherem Alter mit einer wirbelsäulenbewussten Lebensweise oder Physiotherapie zu beginnen, denn regelmäßige und richtige Bewegung kann in jedem Alter die Lebensqualität verbessern und Schmerzen verringern. Regelmäßige Bewegung ist auch ein Eckpfeiler der Osteoporose-Prävention.

  1. Es kann auch eine ernstere Krankheit im Hintergrund stehen!

Es gibt Krankheiten und Zustände, bei denen Rücken- oder Kreuzschmerzen durch schwerere innere Krankheiten verursacht werden – sagt Dr. Nikoletta Horváth. Bei hartnäckigen, untypischen Schmerzen, die nicht mit der Bewegung zusammenhängen, sollte man auch an die innere Medizin, die Urologie, die Kardiologie, die Gynäkologie, die Pulmonologie (Magengeschwüre, Gallensteine, Herzkrankheiten, Nierenkrankheiten usw.) denken und selten können es auch Tumoren der Wirbelsäule oder des Rückenmarks sein. Es lohnt sich daher, die Kinesiotherapie erst nach einer ärztlichen Untersuchung zu beginnen, bei der die oben genannten Krankheiten ausgeschlossen werden, und die Diagnose bekannt ist.

 

Eszter Keresztes
Foto: Bálint Barta, Boglárka Zellei – Semmelweis Egyetem
Übersetzung: Judit Szlovák