Rund 90 % der Modemodelle äußern sich negativ über ihren Körper, und mehr als zwei Drittel kontrollieren streng, was und wie viel sie essen, so eine neue, weltweit einzigartige internationale Studie der Semmelweis Universität. Dies ist die erste qualitative Studie dieser Art in dieser Tiefe, wobei fast 90 % der Befragten trotz der so genannten Plus-Size- oder Body-Positive-Bewegung der letzten Jahre als zu dünn eingestuft werden. Die Forscher betonen die psychisch und physisch schädlichen Auswirkungen extremer Schönheitsideale, die zu Ess- und Körperbildproblemen führen können, und zwar nicht nur bei Models, sondern auch bei jungen Mädchen, die sie als Vorbilder sehen. 

Experten der Semmelweis Universität haben zwischen Juni 2016 und Mai 2021 84 internationale High-Fashion-Models in die Untersuchung einbezogen. Sie wurden gebeten, anonym 23 offene Fragen zu ihrer Karriere, ihren Erfahrungen in der Modebranche und ihren persönlichen Herausforderungen in Bezug auf ihr Körperbild und ihren Lebensstil zu beantworten. Das Durchschnittsalter der Models betrug 23 Jahre und sie kamen aus 17 Ländern, darunter aus den USA, Kanada, den Niederlanden, England, Frankreich, Ungarn, Polen, Russland und Spanien. Die durch E-Mail- und Video-Interviews gesammelten Antworten wurden in Segmente von wenigen Wörtern unterteilt, die anhand von 31 verschiedenen Codes analysiert wurden (z. B. Gewicht, Sport, Missbrauch, Diätkontrolle, extreme Kalorienrestriktion usw.). 

Die Untersuchung ergab besorgniserregende Trends beim Body-Mass-Index (BMI) der Models: 88,7 Prozent von ihnen fielen in die Kategorie schlank oder abnormal schlank.  

„Unsere Studie ist auch deshalb einzigartig, weil sie eine breitere Gruppe von weiblichen Modemodellen untersuchte als frühere Studien. Außerdem ist dies die erste qualitative Studie, die eine thematische Inhaltsanalyse zur Untersuchung von Essstörungen und Körperbildproblemen in dieser Gruppe verwendet“ – erklärte Dr. Nikolett Bogár, PhD-Studentin am Institut für Verhaltenswissenschaften der Semmelweis Universität und Erstautorin der kürzlich in der Zeitschrift Frontiers in Psychiatry veröffentlichten Studie. 

Die Models gaben die meisten Kommentare über ihren Körper ab. Die Mehrheit, 89,3 %, äußerte sich negativ (z. B. „Ich fühlte mich fett und hasste es“), 64,3 % äußerten sich auch positiv (z. B. „Ich finde meinen Körper perfekt“), aber diese Teilnehmer sprachen oft über extreme Diäten, erwähnten häufiger Symptome von Körperbildproblemen und psychologischen Problemen und äußerten sich oft negativ über ihr Gewicht. 

Fast die Hälfte der Teilnehmer (45,2 %) äußerte sich negativ über ihre Essgewohnheiten, z. B. dass sie das Essen nicht genießen können. Im Gegensatz dazu teilten nur 23,8 % positive Ansichten über das Essen, z. B. dass sie gerne essen und kochen. Models, die sich negativ über ihre Essgewohnheiten äußerten, berichteten häufig über Symptome einer Körperbildstörung und neigten auch zu übermäßigem Essen. 78,6 % gaben an, dass sie ihre Nahrungsaufnahme streng kontrollierten und oft Mahlzeiten ausließen oder nur sehr wenig aßen. Außerdem hielten sich 27,4 % an eine Minimaldiät, bei der sie z. B. drei Äpfel pro Tag aßen, während 40,5 % ihre Kalorienzufuhr extrem reduzierten. Etwa 22,6 % der Befragten hatten die Kontrolle über ihre Essgewohnheiten verloren, wobei sie häufig Essanfälle, Erbrechen hatten, extreme Diäten oder sogar exzessiven Sport machten. Auch Essstörungen wurden häufig genannt, und sie unterzogen sich mit größerer Wahrscheinlichkeit einer Psychotherapie. 

Die meisten Kommentare zum Thema Bewegung waren positiv (z. B. „Ich mag Pilates“) oder neutral (z. B. „Ich trainiere sechsmal pro Woche“), wobei 40,5 bzw. 91,7 Prozent der Teilnehmer dies so empfanden. Nur 14,3 Prozent berichteten von negativen Aspekten des Sports, wie z. B. mangelnder Motivation; 23,8 Prozent berichteten von einer intensiven Sportroutine, wie z. B. zwei Stunden Sport pro Tag, während 11,9 Prozent von zwanghaftem Trainingsverhalten sprachen, wie z. B. so lange trainieren, bis man eine bestimmte Menge an Kalorien verbrannt hat. 

„Junge Models, die solche strengen Diäten machen, zu viel Sport treiben, selbst Erbrechen herbeiführen oder Abführmittel verwenden, setzen sich einem ernsthaften Gesundheitsrisiko aus. Sie können zum Beispiel Verdauungsprobleme, Haarausfall, hormonelle Störungen, Osteoporose und Herzprobleme entwickeln“ – sagt Dr. Bogár, die selbst jahrelang als Model auf den Laufstegen der größten Unternehmen der Modebranche der Welt unterwegs war. 

Die Wissenschaftlerin, die an der Semmelweis Universität einen Abschluss als Pharmazeutin gemacht hat, fügt hinzu: „Zusätzlich zu den gesundheitlichen Problemen kann das Modeln mit erheblichen mentalen und emotionalen Herausforderungen verbunden sein, und das Risiko, Essstörungen zu entwickeln, kann aufgrund traumatischer Erfahrungen und fehlender emotionaler Unterstützung erhöht sein. Unsere Forschung unterstreicht die Notwendigkeit, die Beschäftigten in der Modebranche zu schützen, Gesundheitsuntersuchungen durchzuführen und bessere Unterstützungssysteme einzurichten.“ 

83,3 Prozent der Teilnehmer waren mit irgendeiner Art von beruflicher Kritik konfrontiert (z. B. „mein Agent sagte, ich sei hässlich“), während 44 Prozent eine Art von Lob erhalten hatten (z. B. „je kränker ich war, desto mehr Lob bekam ich“). 

63,1 % der Models gaben an, sich auch bei sehr geringem Gewicht übergewichtig zu fühlen (z. B. dick bei 45 kg). Etwa 37 % gaben an, dass sie derzeit oder früher unter Essstörungen litten, wobei sowohl klinische als auch subklinische Symptome von Magersucht und Bulimie auftraten. Psychische Probleme wie Angstzustände, Depressionen und Selbstmordversuche wurden von 48,8 % der Modelle genannt, und 16,7 % hatten sich einer Psychotherapie unterzogen. Darüber hinaus gaben 25 % an, in irgendeiner Form körperlich oder psychisch misshandelt worden zu sein. 

Magersucht ist gekennzeichnet durch extreme Nahrungsbeschränkung aus Angst vor Gewichtszunahme, was oft zu einem gefährlich niedrigen Körpergewicht führt. Bulimie geht mit Essanfällen einher, gefolgt von Erbrechen oder exzessivem Sport. Im Gegensatz dazu kommt es bei der Binge-Eating-Störung zu Episoden des schnellen Verzehrs großer Mengen an Nahrungsmitteln ohne anschließendes „Purging“, oft begleitet von Schamgefühlen. Essstörungen sind mit ernsten Gesundheitsrisiken verbunden und erfordern ein professionelles Eingreifen. 

„Modemodelle stehen unter enormem Druck, dem abnorm dünnen Schönheitsideal der Modebranche zu entsprechen, was das Risiko der Entwicklung von Essstörungen erhöhen kann, sei es in Form klinisch schwerer oder diffuser Symptome. Die Modeindustrie sollte daher dringend ihre unrealistischen Körperstandards überdenken, um die Models nicht zu einem gesundheitsgefährdenden Verhalten zu zwingen. Dies gibt indirekt Anlass zur Sorge um die öffentliche Gesundheit, da Millionen junger Mädchen über die sozialen Medien abnorm dünne Mannequins als „Norm“ und Vorbilder sehen“ – warnt Dr. Bogár. 

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass im Jahre 2019 14 Millionen Menschen an Essstörungen litten, darunter fast 3 Millionen Kinder und Heranwachsende. Laut mehreren aktuellen Medienberichten nimmt die Prävalenz der Störung bei Mädchen im Teenageralter zu und stieg während der COVID-Epidemie deutlich an. 

 

Angelika Erdélyi
Foto: Nikolett Bogár; Titelbild: Envato Elements – NomadSoul1
Übersetzung: Judit Szlovák