Ein Blind Date und ein Strandspaziergang werden in einer weltweit einzigartigen, auf virtueller Realität basierenden Therapie simuliert, um die Kommunikations- und Emotions-Wahrnehmungsfähigkeiten von Schizophrenie-Patienten an der Semmelweis Universität zu verbessern. Eine der größten Herausforderungen für Betroffene ist es, sich nach der medikamentösen Behandlung wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Ein neues Verfahren, das von Spezialisten der Semmelweis Universität entwickelt wurde, kann bei diesem Rehabilitationsprozess helfen.
„Schizophrenie ist eine der 20 häufigsten Ursachen für Behinderungen, und nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind rund 24 Millionen Menschen davon betroffen“ – sagt Dr. Edit Vass, Assistenzprofessorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Semmelweis Universität und eine der Entwicklerinnen der international innovativen Virtual-Reality-Therapie (VV).
Es handelt sich um eine Krankheit mit wiederkehrenden psychotischen Episoden, bei denen der Patient von der Realität abgekoppelt ist. Halluzinationen und Wahnvorstellungen sind häufig, die Gedankengänge der Patienten sind oft unverständlich und ihre Sprache ist ungeordnet. Die Patienten ziehen sich immer mehr zurück und es ist schwierig, mit ihnen zu kommunizieren.
„In 75 % der Fälle geht die Schizophrenie mit funktionellen Beeinträchtigungen einher: Die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen, ist eingeschränkt, und die Patienten sind trotz Medikamenten und konventioneller Therapien im Berufs- und Sozialleben weniger erfolgreich. Dies wirkt sich auch auf ihre Verwandten, Freunde und ihr Arbeitsumfeld aus, was bedeutet, dass die soziale Belastung durch die Krankheit sehr groß ist“ – sagt Dr. Edit Vass.
Die VR-ToMIS (Virtual-Reality based Theory of Mind Intervention in Schizophrenia) genannte Methode zielt darauf ab, die so genannten “ Mentalisierungsfähigkeiten “ der Patienten zu entwickeln, die in der Literatur einen der stärksten Zusammenhänge mit der Lebenszufriedenheit aufweisen, erklärt Dr. Lajos Simon, außerordentlicher Professor und Leiter der Forschungsgruppe Virtuelle Realität und Emotionen an der Semmelweis Universität, und fügt hinzu:
„Vereinfacht ausgedrückt, ist Mentalisierung unsere Fähigkeit, die inneren Zustände, Gefühle, Gedanken und Wünsche anderer zu interpretieren. Schizophrene Patienten neigen dazu, die Botschaften anderer falsch zu entschlüsseln. Sie verstehen zum Beispiel Ironie und Metaphern nicht oder interpretieren bestimmte Gesten falsch. Die von uns entwickelte Methode kann bei der Entwicklung dieser Fähigkeit wirksam sein“.
Die Virtual-Reality-Therapie wird in der Psychiatrie international seit den 1990er Jahren eingesetzt. In Ungarn kommt sie seit 2005 fast ausschließlich an der Semmelweis Universität zum Einsatz, zum Beispiel zur Behandlung von Höhen- oder Flugphobien. Diese therapeutischen Eingriffe sind bisher von der Sozialversicherung nicht finanziert worden.
Während es Versuche gab, andere Aspekte der Schizophrenie mit der VV-Therapie zu behandeln, ist dies die erste Therapie, die speziell auf die Verbesserung der Erkennung von Emotionen und das Verstehen der Absichten der anderen Person abzielt.
Die VR-ToMIS-Therapie besteht aus einer Einführungssitzung und acht 50-minütigen Interventionssitzungen, in denen die Patienten lernen, die Reaktionen des anderen besser zu interpretieren, indem sie in virtuelle Simulationen alltäglicher Situationen des wirklichen Lebens versetzt werden.
Die Simulationsübungen wurden von einem Forscherteam der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Semmelweis Universität unter Verwendung der kostenlosen Software des britischen Unternehmens vTime entwickelt.
Während der Sitzungen tragen die Patienten eine sogenannte VR-Brille, die es ihnen ermöglicht, alltägliche, reale Situationen zu erleben, während sie mit einem Avatar kommunizieren, der von einem Therapeuten geführt wird. Zum Beispiel einen Spaziergang am Ufer, bei dem der Avatar den Patienten um Hilfe bittet, seinen verlorenen Hund zu finden.
Die Therapie kann ein Blind Date simulieren, das Zusammenziehen mit einem neuen Mitbewohner, ein Gespräch auf der Terrasse eines Cafés oder ein Treffen mit einem neuen Kollegen.
Misstrauen ist ein dominantes Gedankensystem bei schizophrenen Zuständen, und mit Hilfe der von uns entwickelten Therapie kann der Patient lernen, zu erkennen, dass sein Gegenüber in der Regel keine Hintergedanken hat“ – sagt Dr. Edit Vass.
Die Forscher haben daher mehrmals getestete Dialoge in die Software eingebaut, um während der Sitzungen die effektivsten Dialogformen zu verwenden, die im Alltag üblich sind und wobei die Elemente der Ironie, der Metapher oder des Humors kombiniert sind.
Auf die Simulation folgt eine interaktive Übung, die mit einer analytischen Diskussion abgeschlossen wird. Der gesamte Prozess wird dann ein- oder zweimal wiederholt, um die ausprobierten Situationen, die kognitiven Prozesse und die erlebten emotionalen Zustände zu speichern.
Die Entwicklung von VR-ToMIS begann 2016 und die Erprobung der Methode mit 43 Patienten (22 aktive, 21 Kontrollpatienten) wurde 2022 abgeschlossen. Die Ergebnisse der Impact-Studie wurden in der Zeitschrift Comprehensive Psychiatry veröffentlicht.
Fast 80 % der befragten Familienangehörigen berichteten über eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten der Patienten unmittelbar nach dem Training. Und drei Monate nach den VR-ToMIS-Sitzungen war auch die Verbesserung der Lebensqualität messbar, was bedeutet, dass die Patienten in der Lage waren, die erlernten Fähigkeiten erfolgreich in ihr tägliches Leben zu integrieren.
Einer der größten Vorteile der VV-Therapien besteht nach Ansicht des Experten darin, dass der Patient in heiklen Situationen die Simulation einfach unterbrechen kann, und dass sich die Emotionen des Patienten in manchmal frustrierenden Situationen auf eine künstlich geschaffene Person und nicht auf eine reale Person richten.
„Die größte Herausforderung für Patienten, die mit Schizophrenie leben, ist die Akzeptanz der Behandlung. Wir betrachten es als einen der größten Erfolge unserer Methode, dass kein Patient während der Versuche die Behandlung abgebrochen hat und die Bereitschaft zur Teilnahme (Compliance) durchgehend erhalten blieb“ – fasst Dr. Lajos Simon zusammen.
Die Methode ist durch ungarische Schutzrechte geschützt. Der nächste Schritt wird die Erstellung eines Schulungsplans sein, auf dessen Grundlage die Entwickler der Methode die Anwendung von VR-ToMIS vermitteln können. Dann könnten sie wahrscheinlich innerhalb von zwei Jahren die internationale Trademark erhalten“ – fügte Dr. Edit Vass hinzu.
Angelika Erdélyi
Foto: Bálint Barta – Semmelweis Universität; vTime
Übersetzung: Judit Szlovák