Die durch künstliche Intelligenz (KI) gesteuerte Diagnostik und Behandlung wird immer mehr zur täglichen Routine, nicht nur in der Forschung, sondern auch in den Kliniken, lautet eine Prognose der Ärzte der Semmelweis Universität. Neben einer genaueren und schnelleren Diagnose und der Einführung gezielter Therapien, die auch zu Hause leicht angewendet werden können, werden auch Klimaschutzaspekte von den Experten in den verschiedenen Bereichen stärker beachtet.

Durchbruch bei der Prognose der Leistung der Sportler

Die Messung und Vorhersage der sportlichen Leistung und die Optimierung der Trainings sind Fragen, die selbst die erfahrensten Trainer nicht immer genau beantworten können. Künstliche Intelligenz kann uns der Lösung solcher Dilemmas näher bringen. Ein weltweit einzigartiges System, indem Hunderte von Parametern aus der Sportkardiologie und anderen Screening-Tests kombiniert sind, wird helfen, die Leistung von Sportlern vorherzusagen. Es könnte sogar prognostiziert werden, ob ein Sportler eine gute Chance hat, Weltmeister oder Olympiasieger zu werden. Das System und die dazugehörige Studie sollen noch in diesem Jahr vom Városmajor Herz- und Gefäßzentrum veröffentlicht werden, sagte Dr. Béla Merkely, Rektor der Semmelweis-Universität und Direktor des Zentrums.

Lösung der Herzschrittmacher-Störungen

Jeder fünfte Träger eines Herzschrittmachers leidet an einer Herzinsuffizienz, die auf eine Verschlechterung der Pumpenfunktion zurückzuführen ist, d. h. das Herz kann weniger Blut in den Körper pumpen. Diese Patienten benötigen möglicherweise eine so genannte Resynchronisationstherapie, bei der eine linksventrikuläre Elektrode zu dem vorhandenen Gerät hinzugefügt wird, um die durch die rechtsventrikuläre Stimulation verursachte verminderte Pumpenfunktion zu „kompensieren“. Der Eingriff wurde bisher auf der Grundlage von Einzelentscheidungen durchgeführt, doch die Forschungsarbeiten der Herz- und Gefäßklinik der Semmelweis Universität könnten weltweit die ersten sein, die eine Basis zu einer genauen Leitlinie für diese Patientengruppe liefern.

Weltweit sind 5 % der Bevölkerung von Herzinsuffizienz betroffen, so dass unsere Forschung zu einem Durchbruch bei der Behandlung von Herzpatienten führen kann

– meinte Dr. Béla Merkely Direktor der Városmajor Klinik.

“ In der Zukunft wird die KI als Begleiter der Radiologen arbeiten, die sich dann wieder der klassischen Medizin und den Patienten zuwenden können“

Wenn es einen Bereich gibt, in dem es sich wirklich lohnt, in neue Geräte zu investieren, dann ist es die medizinische Diagnostik. Dennoch prognostiziert der Leiter der Klinik für medizinische Bildgebung an der Semmelweis Universität, dass Software und die auf künstlicher Intelligenz basierenden Anwendungen in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. „Innerhalb von fünf Jahren wird die künstliche Intelligenz (KI) einen Großteil der repetitiven Aufgaben der Radiologen übernehmen, die sich wieder der klassischen Medizin zuwenden können“, sagt Dr. Pál Maurovich Horvát. „Die Rolle der Radiologie wird sich verändern, sie wird mehr zu einem Beraterberuf, dadurch entsteht eine engere Beziehung zu den Patienten, und es wird genau der Aspekt gestärkt, den die Maschinen niemals ersetzen können.“ Die Arbeit in multidisziplinären Teams mit anderen medizinischen Fachrichtungen wird ebenfalls zur täglichen Routine gehören.

Der Einsatz von KI hört nicht bei der Bildauswertung auf – mit ihr kann jeder Schritt in der Diagnosekette effizienter gestaltet werden. Mithilfe der KI werden Patienten registriert, die Bilder rekonstruiert, wodurch der Patient einer viel geringeren Strahlenbelastung als üblich ausgesetzt wird, und die Nachbeurteilung wird in kurzer Zeit durchgeführt. Außerdem macht es die Befunde für die Patienten verständlich, indem automatisch erklärende Texte und anschauliche Diagramme erstellt werden.

Tabletten statt Insulinspritzen für Typ-2-Diabetiker – sie senken nicht nur den Blutzuckerspiegel, sondern reduzieren auch das Gewicht

Im Jahre 2023 wird die Zahl der Menschen mit Diabetes in den Entwicklungsländern voraussichtlich weiter ansteigen. In den Industrieländern wird die Zahl der Patienten voraussichtlich nicht steigen, was zum Teil auf eine bessere Diagnostik und die schrittweise Umsetzung von Präventionsstrategien zurückzuführen ist. Da etwa 90 % der Typ-2-Diabetiker, die 90 % aller Diabetiker ausmachen, übergewichtig sind, gewinnt die Verringerung der Fettleibigkeit zunehmend an Bedeutung. Anstelle von Insulin, das die Gewichtszunahme fördert, konzentrieren sich die modernen Behandlungsmethoden auf Medikamente, die die Insulingabe verzögern oder ersetzen können. Dazu gehören die so genannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Glucagon-like Peptide) und SGLT2-Hemmer (Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitor), die beide ebenfalls das Körpergewicht reduzieren, wobei dieser Effekt bei den GLP-1-Rezeptor-Agonisten noch ausgeprägter ist und besonders bei Typ-2-Diabetikern von Vorteil ist. “ GLP-1-Rezeptor-Agonisten können vielen Patienten gegeben werden, die zuvor mit Insulin behandelt wurden“, sagt Dr. Péter Kempler, Universitätsprofessor der Klinik für Innere Medizin und Onkologie an der Semmelweis Universität.

Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Notfallversorgung

Neben der Vorbereitung auf die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels (Hitzewellen, unvorhersehbare Wetterverhältnisse) gewinnen auch die Bemühungen zur Verringerung der Umweltbelastung durch die medizinische Versorgung an Bedeutung. „Viele Kinder kommen in die pädiatrische Notaufnahme, weil sie über Erbrechen und Durchfall klagen. Seit Jahren verwenden wir ein Protokoll, das aus einer einmaligen Behandlung und der oralen Verabreichung eines begleitenden Elektrolytgetränks besteht“, sagt Dr. Péter Krivácsy, Leiter der Notaufnahme der Kinderklinik der Semmelweis Universität. Auf diese Weise können sie nicht nur die Zahl der Kinder verringern, die ins Krankenhaus eingeliefert werden und Infusionen benötigen, sondern auch ihren ökologischen Fußabdruck, da man keine Kanülen, Infusionen und Infusionsgeräte verwendet. Neben den positiven Auswirkungen auf die Umwelt bedeutet dies auch, dass die Kinder keine Schmerzen erleben müssen und die Pflegekapazitäten auf andere Patienten verlegt werden können.

Fortschritt bedeutet nicht immer die Einführung von Technologie oder neuen Medikamenten. Auch die Organisation der Patientenversorgung mit dem nötigen Mut und besseren Fokus kann einen Unterschied machen

– sagte Dr. Péter Krivácsy.

Bewusste Präsenz und Selbstkontrolle – zwei zentrale Themen der Psychologie im Jahre 2023

Auch die Fähigkeit, sich auf die Zukunft vorzubereiten, ist eine wesentliche Voraussetzung für das Wohlergehen der Menschen, wobei die Resilienz – die Fähigkeit, flexibel damit umzugehen – eine bedeutende Rolle spielt. Diese „Zukunftsfähigkeit“ hängt auch in hohem Maße davon ab, inwieweit sich die Menschen der Medieneinflüsse, die auf sie einwirken, bewusst sind. „Wir wissen, dass wir von den Medien beeinflusst werden, aber wir sind uns weniger bewusst, inwieweit dies unser Wohlbefinden, unsere Beziehungen und unsere Entscheidungen beeinflusst“, sagt Dr. Dóra Perczel-Forintos, Leiterin von Lehrstuhl und Ambulanz für klinische Psychologie an der Semmelweis Universität. Achtsamkeit, in Englisch mindfulness, die uns hilft, die Realität realistischer und positiver zu sehen, ist die Antwort darauf und wird sich in den kommenden Jahren sicher weiter durchsetzen.

Ein weiterer Schlüssel zum mentalen Wohlbefinden ist die Selbstkontrolle. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist die Kindererziehung, die sich nach der Strenge der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nun im 21. Jahrhunderts durch einen fast vollständigen Verzicht auf Regeln gekennzeichnet ist. „Aus diesem Grund haben die meisten jungen Eltern heute keine Freude daran, kleine Kinder zu haben, weil ihr Leben fast vollständig den Bedürfnissen ihrer Kinder untergeordnet ist.“

Mehr Aufmerksamkeit für die Behandlung von Schlafstörungen

Im Jahre 2023 werden in vielen Bereichen große Fortschritte bei der Behandlung von Lungenkrankheiten erwartet. In der pneumologischen Onkologie bei der Behandlung von Lungenkrebs im Frühstadium rechnet man mit der Einführung neuer Immuntherapien und gezielter Therapien, die sich aus einem detaillierteren genetischen Profil ergeben. Auf dem Gebiet der obstruktiven Lungenerkrankungen – Asthma und COPD – ist die Einführung weiterer biologischer Therapien zu erwarten. Bei der Früherkennung interstitieller Lungenerkrankungen wächst die Bedeutung der hochauflösenden photonenzählenden CT, sowie  im Screening die Nutzung  der CT mit niedriger oder reduzierter Dosis, die eine detailliertere Bestimmung des Lungenstatus als herkömmliche Röntgenaufnahmen des Brustkorbs ermöglichen. Bei der Inhalationsbehandlung der Lungenfibrose sowie der pulmonalen Hypertonie, d. h. des hohen Blutdrucks in der Lunge und der daraus resultierenden schweren Atemnot oder Herzinsuffizienz ist ein großer Durchbruch zu erwarten.

Die Bedeutung von Schlafstörungen hat nach der Coronavirus-Pandemie zugenommen – Zehntausende von Erwachsenen in der Bevölkerung leiden weiterhin unter Schlafproblemen.

Um die Erhaltung und Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit zu unterstützen, sollten Polysomnographien in Schlaflabors in größerem Umfang zur Verfügung stehen, und festgestellte Schlafstörungen behandelt werden

– sagte Dr. Veronika Müller, Direktorin der Klinik für Pneumologie an der Semmelweis Universität.

„Wir widmen der Behandlung von Lungenentzündungen weiterhin besondere Aufmerksamkeit: neue, wirksame und orale Therapien (z.B. Heimbehandlung) für SARS-CoV2 müssen in unserem Land eingeführt werden, und wir müssen uns auf die Zunahme von Grippe und anderen Virusinfektionen der Atemwege vorbereiten.“ In diesem Zusammenhang untersuchen die Arbeitsgruppen der Klinik weiterhin Partikel (z. B. Medikamente, Luftverschmutzung, Aerosole mit Krankheitserregern), die in die Lunge inhaliert werden.

 

Végh Zsófia
Foto: Attila Kovács  – Semmelweis Universität, featured image (Illustration): iStock
Übersetzung: Judit Szlovák