Es wurde ein neuer Gehirnprozess, der für die verzögerten Stressreaktionen sowie die langfristigen Auswirkungen von Stress verantwortlich sei, in Zusammenarbeit von den Forschern der Semmelweis Universität, der Medizinischen Universität Wien, von Swedish Karolinska Institute, und von American Yale University identifiziert. Bei dem durch das Gehirnwasser geleiteten Mechanismus wird  der Gehirnteil – der für Stressantwort und die Herausbildung der Verhaltensformen verantwortlich ist –  erst nach mehreren zehn Minuten nach Auftreten der Gefahr aktiviert. Diese Ergebnisse können im großen Maße  zum besseren Verständnis   vom Posttraumatischen Stress-Syndrom (PTSD), von chronischem Stress und von den nervlichen Prozessen von Burnout führen.

Laut dieses Ergebnisses erfolgt in Stress-Situationen tatsächlich eine Änderung – sagte Dr. Alán Alpár, Dozent von Anatomischem, Histologischem und Embryologischem Institut, Gruppenleiter der Forschungsgruppe für Neuroanatomie und Entwicklungsbiologie. Bislang waren zwei  wichtige Gehirn-Stressmechanismen bekannt, beide wurden von den gut bekannten Nervenzellen-Gruppen  im Hypothalamus ausgelöst. Der eine Prozess ist ein hormoneller Weg, wo es innerhalb von Sekunden nach dem  Stress-Eintritt Hormone von den Nebennieren durch den Blutkreislauf aufgelöst sind. Der andere, nervliche Weg ist noch schneller. Im Bruchteil von Sekunden  bildet sich hier eine direkte nervliche Verbindung an den sogenannten Präfrontaler Cortex aus, der unser Verhalten hauptsächlich beeinflusst.

Die Mitarbeiter der Forschungsgruppe  – Alán Alpár (Budapest), Tamás Horváth (New York), Tomas Hökfelt (Stockholm) and Tibor Harkany (Vienna) – stellten gleichzeitig auch fest: diese Nervenzellen können auch auf einem dritten Weg Stressreaktionen auslösen, deren Auswirkung erst viel später erscheint und auch chronisch ist. Der jetzt beschriebene komplett neue Mechanismus entsteht im Gehirnwasser. Während diesem Prozess kommt ein Molekül, der sog. Ciliäre Neurotrophe Faktor (CNTF) in der Gehirnflüssigkeit zirkulierend am Stresszentrum an. (Dieses Molekül spielt in der Entwicklung und Instandhaltung des Nervensystems ebenso eine wichtige Rolle.) Da es sich hier um einen durchs Gehirnwasser verbreitenden Mechanismus geht, ist der Prozess viel länger, als derjenige, der durch den Blutkreislauf läuft. In der Gehirnflüssigkeit verdünnt sich das Material viel langsamer, so hält seine Wirkung auch viel länger an. Die Nervenzellen des Stresszentrums sind von den  Molekülen im Gehirnwasser ständig bombardiert, was den präfrontalen Kortex ständig wach hält, und somit kann ein wachsamerer Nervenzustand mit viel höherer Reaktionsfähigkeit entstehen.

Laut Dr. Alán Alpár ist sehr wahrscheinlich, dass beim Stress all diese drei Mechanismen aktiviert sind, aber in der Herausbildung der verzögerten, chronischen Stress-Situationen spielt dieser dritter, von der Forschungsgruppe identifizierte Faktor die wichtigste Rolle.

Welche Gehirngebiete für die schnelle Antwort auf externe Stressimpulse zuständig sind, haben wir von den Arbeiten des weltberühmten ungarischen Stress-Forschers, Dr. János Selye erfahren können. Er beschrieb auch, was in Stress-Situationen passiert, wie der Hypothalamus die Hypophyse und dann die Nebennierenrinde aktiviert – sagte Dr. Alán Alpár.  Der Stress ist aber ein langwieriger Prozess, die Möglichkeit der Umweltbedrohung kann auch länger bestehen, was nicht nur eine direkte sondern auch eine permanente Aufmerksamkeit vom menschlichen Körper erfordert. Die Wissenschaftler wollten diesen Prozess verstehen, als sie den molekular-biologischen Hintergrund der Funktionsweise und Funktionsstörungen vom limbischen Systems untersuchen wollten.

Der oben beschriebene Mechanismus durchs Gehirnwasser wurde nicht nur in Tierversuchen sondern auch in Humanproben erkannt. Die bei den Versuchen verwendeten Humanproben wurden von der Ungarischen Gehirngewebebank zur Verfügung gestellt. Die Forschungen konnten in Zusammenarbeit von Professor Dr. Tibor Harkány, Lehrstuhlleiter der Medizinischen Universität Wien und von seinen Mitarbeitern verwirklicht werden.

Die Arbeit wurde vor fünf Jahren vom Dr. Alán Alpár und seinem Mitarbeiter, Péter Zahola (damals Medizinstudent, heute Doktorand) gestartet. Diese Entdeckung kann neue Perspektiven im Verständnis der Herausbildung von Posttraumatisches Stress-Syndrom (PTSD) bringen. Die Persistenz vom akuten und chronischen Stress, das Burnout bedeuten eine große Herausforderung für die heutige Gesellschaft. Und das Verstehen des dazu führenden nervlichen Prozesses kann später auch die Behandlung der neuropsychiatrischen Krankheiten ermöglichen. Während der Forschung wurden mehrere solchen molekularen Mechanismen vorgestellt, die später Therapieansatzpunkte für die Pharmakologen sein können.

Die Forschung wurde vom Ungarischen Hirnforschungs-Programm (Alán Alpár) und vom Europäischen Forschungsrat (Tibor Harkány) unterstützt. Der Artikel von den Forschungsergebnissen wurde vor kurzem in der Zeitschrift EMBO  (Europäische Organisation für Molekularbiologie) veröffentlicht.

 

Pálma Dobozi
Photo:  Attila Kovács, Semmelweis Egyetem
Übersetzung: Judit Szlovák